Vocal Community

David Barnard von Appcubby, Macher von Programmen wie Launch Center Pro, schreibt über die „Sparrow Gelegenheit„. Genauer gesagt über die Tatsache, dass sich in den vergangenen Jahren im AppStore eine Preismentalität herausgebildet hat, die wie Alex Olma neulich schrieb, Programme an die Spitze der „kostenpflichtig“ Kategorie spült, von denen wir noch nie etwas gehört haben.

Barnard versucht, ich denke wie wir alle, zu verstehen, warum diese Apps die für uns „Prosumer“ auf den ersten Blick wenig Nutzen haben, so viel Geld einbringen. Sei es weil sie Scheffel „Schlumpfsperma“ verkaufen oder das kostenpflichtige Powerup „Nur noch einen Knopf drücken müssen für einen Sieg“. Anlass war wohl dass Barnard seine App „Timer“ jetzt kostenlos abgibt.

Er verlinkt einen „Wired“-Artikel von 2008 der davon spricht, dass die New York Times ja jetzt gratis sei im Netz und wie vor 100 Jahren King Camp Gilette es geschafft hat, mit Rasierklingen ein Heidengeld zu verdienen indem er die Rasierapparate, die Dinger die die Wegwerf-Klingen mit der Hand verbinden, nahezu gratis verteilte.

Barnards nachträgliche Erläuterung des Artikels

If Apple eventually allows free trials and paid updates, I think it will be a great thing for developers, but I now wonder if there are better ways to scale price paid to value derived. With a market as efficient as the App Store, I think it might just work, and ultimately be better for both consumers and developers.

Sowohl der Blog- als auch der Wired-Artikel sind recht lesenswert, da sie die Perspektive eines Entwicklers aufzeigen. Der Wired-Artikel ist etwas überholt und macht auch ein paar Fehler -die NY Times im Web ist mittlerweile wieder fast komplett hinter einer Paywall und Moore’s Law besagt nicht dass sich die Prozessorleistung vom Preis her in 18 Monaten verdoppelt aber geschenkt – er ist ja auch schon vier Jahre alt.

Also kurz rüberhüpfen und lesen und dann zurück kommen. Ich möchte ungern meine 2 Cent dazu abgeben ohne dass der Kontext bekannt ist.

Falsche Schlüsse

Ich denke was Barnard versucht zu vermitteln ist, dass man heute mit dem „Der erste Joint ist frei“-Modell viel Geld machen kann. Dass er dabei im Prinzip dieses delikate Problem beschreibt, dem Nutzer nicht zu viel, nicht zu wenig zu geben und ihn dezent genug aber nicht zu nervig mit Werbung für den Kauf von InApp-Zusätzen zu belästigen, kommt mir ehrlich gesagt so vor als ob jemand sagt „Benzinpreise? Hach da nimmt man einfach unser Perpetuum-Mobile(tm) und schon läuft’s!“

Sprich Barnard übersieht irgendwie dass er da sagt „Man muss nur das richtige Gleichgewicht treffen“. Dies ist aber genau so schwer wie die eigentliche Idee einer App überhaupt. Sein Blog-Post spricht nicht darüber dass im Entwicklungsprozess das Erreichen dieses Äquilibriums ein wichtiges Ziel zu sein hatt. Aussagen wie „Ich glaube man kann das mit dem heutigen AppStore hinbekommen“ ist eine Binsenweisheit. Nur wenn man von vorne herein weiß, dass das Ziel der App ist, den Spieler dazu zu bringen, Sackkarren an Schlumpfbeeren zu kaufen, kann man eine erfolgreiche App programmieren. Seine Timer-App jetzt frei abzugeben ist daher irgendwie nicht das, was er selbst im Text überhaupt vermitteln wollte. Sprich was bringt es die App frei abzugeben wenn er dabei nicht vermittelt, WIE er denn mit der GratisApp durch InApp-Käufe Geld verdient bzw. dies vor hat. Aus Mangel an iOS-Gerät kann ich das im Moment nicht nachschauen, ob man überhaupt in der App was kaufen kann. Ich denke aber nicht.

Darüber hinaus ist der Grund für seinen Artikel wohl das Geschrei der Sparrow-Fans darüber, dass die App aus dem iTunes Store genommen wurde. Und auch hier denke ich ist es sehr sehr ernüchternd dass er quasi Monate später darauf kommt, dass es da doch diese Nutzerschicht gibt die einen großen Nutzen aus einer App gezogen haben, ohne die Diskussionsbeiträge zu Sparrow aufzugreifen die es zu dutzenden gegeben hat. Mehr als ein Artikel hat davon geschrieben dass die Anwenderzahl von Sparrow verschwindend gering gewesen ist. Klar, mit dem AppStore erreicht man heute auf Basis eines 99$-Developer-Accounts hundert Millionen potentielle Käufer. Trotzdem muss man sich und seine Familie irgendwie ernähren und wenn nicht mindestens ein paar hunderttausend Dollar jedes Jahr rein kommen kann man maximal EINEN Entwickler bezahlen – und wenn man sich die „about“ Seite von Appcubby anschaut wird schnell klar – Barnard ist der Chef und Hauptentwickler in Personalunion. Es kommt einem vor als wolle man sagen „Hey mit dem Modell John Gruber kann man im Internet Geld machen“. Klar. Kann man. Können sogar irgendwas mit 10 Leuten auf dem ganzen Erdball (Gruber, Moltz, Arment, Dalrymple und vielleicht nehmen wir noch den Herrn Olma dazu). Das sind aber die Ausnahmen die die Regel bestätigen. Wenn selbst eine App wie Sparrow offensichtlich einen enormen Nutzen hatte aber nicht dazu in der Lage war, die Nischen-Lösung in ein funktionierenden, laufendes Geschäftsmodell umzusetzen (siehe Instapaper), dann ist die App einfach ein Beispiel dafür dass Taschenmesser-Apps nur funktionieren wenn sie wie Barnard in seinem Postscriptum andeutet bezahlte Upgrades möglich macht. Und dieses ganze Problem hat Marco Arment bereits beschrieben. Er konnte kein Geld einsammeln für eine einfache „Spende“ für Instapaper da InApp-Käufe mit zusätzlichem Nutzen versehen sein müssen. Die Grund-Idee der App ist aber bereits so einfach, dass man für sie kein Geld verlangen kann bzw. wenn man etwas weglässt fühlt sich die App nicht sinnvoll an.

Ergo: wenn ich Schlumpfbeeren brauche um überhaupt neue Häuser bauen zu können, dann ist der Verkauf von Schlumpfbeeren sinnvoll. Wenn ich eine App habe, die E-Mails, die ich sowieso bekomme, nur intelligent verwaltet, dann ist das so als ob ich die Schubkarre für die Schlumpfbeeren verkaufen will. Es geht aber um die Beeren. Sprich wenn die Beeren (E-Mails) so oder so reinkommen, die Schubkarre (das E-Mail-Programm) aber als selbstverständlich angesehen wird, dann kann ich nicht einfach schreiben „Ich glaub Freemium funktioniert“. Barnard hat das ganz nett in seinem Artikel versteckt, aber im Endeffekt irgendwie nichts begriffen.

Es reicht nicht dass die Community sobald Sparrow weg war laut aufschreit. Es ist das gleiche Phänomen dem Autoren von Fernsehsendungen in Los Angeles anheim fallen wenn sie auf Twitter nachschauen wie den Zuschauern die letzte Folge „Vampire Diaries“ gefallen hat. Die lautesten Fans, vielleicht ein paar Prozent der gesamten Zuschauer, schreien auf Twitter rum dass die Autoren am besten vor der Geburt abgetrieben worden wären oder wie man denn zulassen könnte dass der Glitzervampir die Werwölfin jetzt gerade vernascht hat obwohl der süße Bar-Besitzer doch viel besser wäre für die Werwölfin.

Man kann aus diesen „Fans“ kein Geschäftsmodell ableiten. Die Leute, die das Geld reinbringen, sind die die eine Sendung hauptsächlich gucken und vor allen Dingen auch bei der Werbung (= der Einnahmequelle des Senders) nicht umschalten, anstatt die Werbepausen dazu zu nutzen wie behämmert Updates in Twitter reinzuprügeln und die Autoren über den grünen Klee zu loben oder in die Hölle zu verwünschen. Wichtig sind nicht die Leute die am lautesten schreien sondern die die einfach Geld ausgeben. Diese Hürde dass User für ein Gimmick gerne mal bezahlen (wie für die Süßigkeiten an der Supermarktkasse die alle irgendwie unter 1 Euro kosten) aber für ein Programm dass einen dauerhaften Nutzen hat kein Geld hergeben wollen, und man dann Werbung einblenden sollte (siehe Rovio mit Angry Birds) hin zu einer App die regelmäßig Geld kosten kann/soll/muss damit der Entwickler überlebt (entweder durch kostenpflichtige Bezahl-Updates oder In-App Käufe) ist GIGANTISCH.

Aufgrund dessen kann ich die Schlußfolgerung „Ich mach meine Timer-App jetzt umsonst“ irgendwie nicht nachvollziehen. Sie verkennt das ganze Problem.

Anstatt die Schreihälse mit dem Blog-Eintrag darauf hinzuweisen, dass Qualität gefälligst Geld kostet und dass man dieses Geld auch auf den Tisch legen sollte (anstatt sich über die 50 Dollar die man hat für eine Twitter-Alternative auf den Tisch legen soll pro Jahr lustig zu machen) spricht er davon dass es ja auch ohne bezahlte Versionsupdates im AppStore gehen müsste.

Das Verständnis, dass Apple ein Fernsehsender ist der gar nicht daran denkt auf das Bezahlmodell von HBO umzusteigen und der über Gratis-Ware seine iOS-Geräte verkauft, dieses Verständnis scheint entweder nicht da zu sein bei Barnard oder er schreibt es nicht hin weil er der Erkenntnis bereits in Ohnmacht erlegen ist. Dass die Apps der Rasierapparat sind und die iOS-Geräte die Rasierklingen, um mal das Beispiel aus dem Wired-Artikel aufzugreifen, diese Erkenntnis scheint bei Barnard nicht gereift zu sein.

Es mag komisch klingen, aber Apple mag Software die nichts kostet

Um das Beispiel Fernsehen erneut aufzugreifen – Barnard ist ein Produktionsstudio für Fernsehsendungen und er möchte gerne seine Programme verkaufen. Dafür gibt es mehrere Abnehmer. Free-TV mit Werbung. Basic Cable (sprich Kabelanschluss) wo man für den Zugang im Gegensatz zum Satellitenfernsehen Geld bezahlen muss, und Pay TV wie HBO, welches auf die anderen Dienste aufsetzt. Pay TV gibt’s nur wenn man schon Kabelanschluss bestellt hat oder über Satellit z.B. wie bei Sky in Deutschland. Selbst wenn es in Zukunft mal alles digital wird muss der Kunde noch den Internetanschluß bezahlen um an PayTV zu kommen.

Apple stellt den „Fernseher“ her, sprich die iOS Geräte, und ist deshalb daran interessiert, möglichst viel Programm aufzufahren wofür man nicht bezahlen muss. Apple ist NICHT die Firma, die die Settop-Boxen für HBO herstellt und deshalb daran interessiert sein könnte, dass HBO besser wird. Und Apple ist nicht der Kabelnetzanbieter der den Zugang ermöglicht. Was irgendwo nicht zu manchen Entwicklern durchkommt ist die Tatsache, dass sie wenn sie Programm für HBO oder „Basic Cable“ entwickeln, dies im AppStore von Apple schwierig sein wird. Jetzt zu sagen „Ich glaube, irgendwie wird das gehen, denn der AppStore ist toll“ hilft da wenig. Das eigene Programm muss in die Richtung „Free TV“ entwickelt werden, sonst kann es per Definition nicht erfolgreich sein. Die einzige Lösung hierbei bestünde darin, alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu finden (sagen wir mal DVD-Verkäufe). Das aber genau ist das was die Entwickler mit „Paid Upgrades“ fordern und das wird es bei Apple nicht geben.

Klar, es gibt Communities die es schaffen eine geliebte Sache Jahre am Leben zu erhalten (siehe die Fernsehserie „Chuck“) aber das sind Ausnahmen. Wer nicht direkt für Freemium entwickelt muss verstehen dass er 99 Cent-Apps entwickeln muss um haufenweise Geld zu scheffeln. Eine App nachträglich umsonst zu machen ist keine Lösung sondern eher eine Bankrotterklärung und deshalb hoffe ich das Barnard irgendwo noch auf die oben genannten Erkenntnisse kommt. Sonst wird das alles nix.

Kickstarter hätte eine Lösung sein können (App.net macht es ja jetzt gerade vor). Es ist aber leider keine alternative Finanzierungsmethode für den AppStore, da Apple auch hier keine Möglichkeit bietet, Kunden die bereits gekauft haben die App irgendwie zukommen zu lassen (auch nicht mehr über Entwicklercodes). Man fordert deshalb im Prinzip Kunden auf, ein Produkt zum Leben zu erwecken – nur um dann nachfolgend diesen Kunden die App nur gratis im AppStore verfügbar machen zu können – und dann partizipieren auch alle anderen AppStore Benutzer, nicht nur die die finanziert haben. Es gibt dabei keine Möglichkeit, Geld oder Nutzen in höherem Maße an die Kickstarter-Unterstützer zurück zu führen. Deshalb gibt es bei Kickstarter die „Belohnungen“ (Reward-Tier).

Bei Softwareprojekten ist das dann so dass mancher Entwickler schon an den Rand des Wahnsinns getrieben wurde durch die Belohnungen, weil sie mehrere hundert Geschenke verpacken und verschicken müssen. Weil sie entweder nicht mit dem Erfolg oder nicht mit dem Arbeitsaufwand gerechnet haben. Und das frisst dann die Zeit die eigentlich für die Entwicklung des Programms hätte draufgehen müssen. Wie Double Fine ihr Adventure sinnvoll fertigstellen will und es dann „gerecht“ an die iOS-Community (und auf Steam oder XBox-Live usw.) verteilen will ohne dass es einen kleinen Shitstorm geben wird ist mir ehrlich gesagt nicht so ganz klar, denn diese „Vocal Community“ die das Projekt erst ermöglichte, ist, um es mal vorsichtig auszudrücken, recht schwer zu bändigen wenn sie einmal richtig sauer sind.

Fazit: Barnard ist ein weiterer Programmierer, der im Nachhinein feststellt, dass er ein Programm an der Käufergruppe vorbei entwickelt hat, bzw. dass sich der AppStore von den Zeiten wo nur Hardcore-Apple-User ein iPhone hatten die bereit waren, Geld auszugeben, mit der Käuferschicht weiter entwickelt hat. Und jetzt steht er trotz guter Software ohne Geld da und verkennt die Tatsachen. 2008 war Apple vielleicht noch Pay-TV oder sagen wir HD+ (RTL und Konsorten in HD nur gegen Aufpreis). Heute ist der AppStore aber leider Pro7. Und Barnard merkt es nicht oder aber er sagt es nicht in seinem Blog-Artikel weil er schon heimlich an seinem nächsten Projekt arbeitet. Wer weiß. Ich finde dann hätte er es aber hinschreiben können was er meint. Denn im Moment liest es sich so als ob er die Augen schließt und die Finger kreuzt und sich ganz doll wünscht dass seine Apps sich aus irgendeinem Grund weiter verkaufen.

Wie auch immer: bei den Entwicklern muss einfach die Erkenntnis endlich ankommen dass 50% des Erfolgs eines Programms ein „Business-Plan“ ist, sprich die Strategie wie man Geld von den Usern bekommt. Es reicht einfach nicht, nur gut zu programmieren, man muss seine Zielgruppe kennen und das Programm dementsprechend danach ausrichten.

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